Die Nachricht hat mich vor ein paar Minuten erreicht. Und erschüttert. Ich kenne den amerikanischen Koch als verrückten Autor nur von seinen leidenschaftlichen Reportagen über die Küche aus Ländern weltweit. Er soll sich während Dreharbeiten in Frankreich das Leben genommen haben. Der TV-Sender CNN bestätigte, dass Bourdain in einem Luxushotel im elsässischen Kaysersberg gestorben sein Die Staatsanwaltschaft von Colmar bestätigte den Tod. Es gebe bislang keine Hinweise auf ein Eingreifen Dritter.
Ich habe Anfang des Jahrtausends sein erstes Buich, „Das Geständnis eines Küchenchefs“, geradezu verschlungen. Mein Freund und Küchenchef Michael Wendt hatte es mir zum Geburtstag geschenkt. Wohl weil ihn der Untertitel „Was Sie über Restaurants nie wissen wollten“ faszinierte. Wir haben beide genügend Momente des Wahnsinns erlebt, den die Leidenschaft des Kochen auslösen kann. Er natürlich viel näher als ich, der beobachtende Journalist. Zunächst war ich geschockt von der britalen Offenheit, mit der Bourdain sein Metier sah und beschrieb.
In bester Erinnerung ist mir das Stück über die „Abteilung menschliche Ressourcen“. Darin beschreibt Bourdain, wie es zugeht in Restaurant-Küchen. Während der Gast genießt, herrscht Krieg. Das Stück handelt von einem Problem mit einem Koch, einem „besonders miesen Bastard“, der einem befreundeten Küchenchef auf der Nase herumtanzte, Zwietracht säte. „Eine gefährliche losgerissene Kanone, die auf Deck herumrollte, und der Chefkoch und seine Kollegen sollten es nur wagen, den falschen Knopf zu drücken.“ Nach einem erneut hässlichen Vorfall von Aufsässigkeit blieb dem Freund keine Wahl. Er feuerte den mit Kokain vollgepumpten, ausgerasteten Angestellten mit der Aufforderung „Räum deinen Spind und mach dich vom Acker“. Der Mann ging nach Hause, führte ein paar Telefonate – und erhängte sich. Bourdain: „Dass so etwas passieren kann, sagt etwas darüber aus, womit wir unseren Lebensunterhalt verdienen.“ So etwas passiert, bleibt glücklicherweise aber die Ausnahme.
Der aus New York stammende Bourdain wuchs im benachbarten New Jersey auf und absolvierte das renommierte Culinary Institute of America. Er arbeitete als Koch in New Yorker Restaurants und wurde Chefkoch in der inzwischen geschlossenen Brasserie Les Halles. Sein Wechsel in die Welt der Restaurantkritiker kam durch einen Artikel im „New Yorker“, den er dem Magazin auf eigene Initiative geschickt hatte. Der Beitrag legte Details über die Arbeitsweise von Restaurants und deren Küchen offen.
Bourdain hat mir klargemacht, dass die Küche zwar eine kulinarische Spielwiese ist, in der aber fast immer Ausnahmezustand herrscht. Küchenchefs gehen fast immer an die Grenzen und darüber hinaus – und sie erwarten von ihrem Personal, dass es gehorsam an seiner Seite ist. Das Restaurant voll und jeder Gast ein Kritiker, der zu jeder Zeit Höchstleistungen erwartet, erwarten darf. Denn er bekommt ja die Dienstleistung nicht geschenkt. Wenn das für die Köche kein Stress ist.
Wie Bourdain in „Ein Küchenchef reist um die Welt“ im Kapital „An der englischen Küchenfront“ Roberto, seinen Mann am Grill, beschreibt. Der saß wegen Körperverletzung im Knast – „kein Typ, den man zu einem Abend in der Oper einladen würde“, aber ein leidenschaftlicher Küchenchef, der ein Fischfilet „so zärtlich und liebevoll wie die Brustwarze einer Frau“ behandelt. Ein besessener Control-Freak, ein Arbeitstier, Medienmanipulator, Künstler, Handwerker und Tyrann – „kurzum, ein Chefküchenchef“.
Anthony Bourdain, dieser bewundernswerte Chefküchenchef, der den Deckel vom kochend heißen
Topf gezogen hat und beschrieben hat, was sich hinter den Schwingtüren zur Küchenhölle abspielt, er lebt nicht mehr. Sein überraschende Abgang erscheint, als habe er selbst das Drehbuch
geschrieben.von reiner trabold