30. Juni 2020
Wahrer Horror
Fällt mir dazu etwas ein? Außer Abscheu und Ekel? Dass es viele kranke Gehirne gibt, weiß jeder. Kinder zu missbrauchen, ist so ziemlich das Schlimmste, was Menschen angetan werden kann. Es ist eine Hypothek fürs Leben. Unfassbar, was die Ermittler gerade aufdecken und mit welcher Energie die Täter ihr fürchterliches Handwerk betreiben. Sie zerstören die Seele der missbrauchten Kinder. Nicht zu glauben, dass sie sich sogar über Babys hermachen und ihre Bilder via Internet verbreiten. Es fehlen mir die Worte, dass sich im pädophilen Netzwerk zu allem Überfluss auch noch Tipps geben, wie sie ihre Perversionen in die Tat umsetzen. Die Zahlen, die in der Folgre der grausigen Taten in Bergisch-Gladbach genannt werden, sind der wahre Horror, aber noch nicht das Ende. Nein, es fällt mir nichts mehr ein. Reiner Trabold
22. Juni 2020
Denk mal
Woher mag meine tiefe Abneigung für jede Art von Denkmälern rühren? Ich bin sogar Gegner von Grabsteinen, die auch im Tod noch Standesunterschiede tradieren. Jetzt, wo die Monumente vieler Sklaventreiber (die sich mit Sklaverei erworbenem Reichtum ein Denkmal setzten) gestürzt werden, sehe ich mich bestätigt. Menschen sollten erhöht und damit über andere gestellt werden. Ich komme ins Grübeln. Habe ich nicht vor Zeiten andächtig und in stiller Bewunderung vor der Statue of Mahadma Gandhi am Parliament Square in London gestanden und dachte: einer, zu dem ich aufblicke. Nelson Mandela sind zu recht beeindruckende Denkmäler gesetzt worden. Der 1968 ermordete Martin Luther King steht in Stein gemeißelt in Washington, weil er mit der Civil Rights Movement die Bürgerrechtsbewegung in Gang setzte, die nach dem durch Polizisten getöteten George Floyd als Protest mit „Black Lives Matters“ weiterlebt. Es gibt Denkmäler als Mahnmale, die uns Respekt abverlangen. Sie erinnern uns ans Gute im Menschen, vor allem aber an Schwächen wie Intoleranz, Hass und Rassismus. Diese Stätten sind notwendig, um jedem immer wieder ins Hirn zu prügeln, dass alle Menschen verdammt noch mal gleich sind. Allein dieser Halbsatz müsste in Artikel 3 des Grundgesetzes eigentlich ausreichen, um klar zu machen, dass niemand diskriminiert werden darf. Niemand. von Reiner Trabold
17. Juni 2020
Vereint uneins
17. Juni. Der Tag der Deutschen Einheit. Von vielen schon vergessen, weil mit der Wiedervereinigung vor 30 Jahren abgehakt. Der Feiertag aber sollte in Erinnerung gerufen werden, weil immer deutlicher wird, wie wenig es mit Einheit zu tun hat, wieder vereinigt zu sein. Noch immer ist von „neuen Bundesländern“ die Rede, und in den Köpfen vieler in der einstigen „Deutschen Demokratischen Republik“ macht sich ein Denken breit, das zumindest irritiert und Fragen über die Ursachen aufwirft. Wie ticken Menschen, die sich mit der Parole „Wir sind das Volk“ in der Bewegung „Patriotischer Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) zusammenrotten und in Massen rechts-nationalen Wirrköpfen hinterherlaufen, aus Protest die „Alternative für Deutschland“ wählen, „Merkel muss weg“ skandieren, die vereint uneins sind? Unterm Strich erscheint der Prozess der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten misslungen, weil sich ein Großteil der Bevölkerung trotz gewaltiger Aufwendungen abgehängt fühlt. Vielen im Osten fällt es offenbar noch schwer, in demokratischer Freiheit das Volk zu sein – und Einheit zu leben. Reiner Trabold
16. Juni 2020
Aufs Knie
Ausfallschritt. „Den linken Fuß einen Schritt nach vorn stellen, der rechte bleibt stehen. Nun nach unten bewegen“, lese ich in meinem „Barmer-Magazin“. Anfängern wird unter „Einfach fit bleiben“ geraten, das hintere Knie auf dem Boden abzusetzen. Könner halten es in der Luft. Der eigene Körper als Trainingsgerät. Die sportliche Übung hat Symbolkraft gewonnen. Der Kniefall ist nach dem gewaltsamen Tod des schwarzen Amerikaners George Floyd weltweit zum Zeichen des Protests gegen Rassismus geworden. Ich habe beim Niederknien Bundeskanzler Willy Brandt vor Augen, der 1970 vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettos in Warschau auf die Knie ging und sich damit demütig zur deutschen Schuld an Krieg und Völkermord bekannte. Mit Demut hat die Protest-Pose „taking-a-knee“ wenig zu tun. Sie erinnert eher an die erhobene Faust zweier US-Sprinter bei Olympia in Mexiko 1968, ein Protest gegen die Unterdrückung Schwarzer in Amerika. Der Kniefall, einst Zeichen der Unterwerfung, ist zum deutlich sichtbaren Bekenntnis gegen Polizeigewalt und Ausgrenzung geworden. Gut also, wenn die beschwerliche Körperhaltung „funktional trainiert“ wird. Denn gerade für ältere Menschen kann es sogar schmerzlich werden, aufs Knie zu gehen oder gar zu fallen. Deshalb: Aufrecht stehen – und üben, üben, üben. Ist auch gut für den Kopf. Reiner Trabold
14. Juni 2020
Polen offen
Die Öffnung der wegen der Pandemie für einige Wochen geschlossenen Grenze zum Nachbarland Polen wurde gefeiert wie der Fall der Mauer vor mehr als 30 Jahren. Polen ist also wieder offen. Und ab heute dürfen die Deutschen nach Corona wieder reisen. Am liebsten natürlich dorthin, wo die Sonne nicht aufhört zu scheinen und wo was los ist. Gut, ins geliebte Malle darf erst einmal nur eine Vorhut. Sie soll ausprobieren, ob das mit dem Tourismus in diesen merkwürdigen Zeiten überhaupt funktionieren kann. Nach Corona, das ist ein Trugschluss, der sich breitmacht wie das Virus selbst. Ich darf daran erinnern, dass vorgestern Virologen noch zu bedenken gaben, dass wir auch bei sinkenden Fallzahlen erst am Anfang der weltweit grassierenden Seuche stehen. Dass es einen Impfstoff in absehbarer Zeit nicht geben wird. Es ist daher im höchsten Maß verantwortungslos, so zu tun, als läge Corona hinter uns. Aber genau das ist der Fall. Es wird nicht mehr gelockert, es wird geöffnet. Weil wir durch eine ungeheure Kraftanstrengung (umschrieben mit dem Begriff Lockdown) die Katastrophe halbwegs in Grenzen halten konnten, sollte doch nicht er Eindruck entstehen, wir seien jetzt gegen die Infektion gefeit. In Peking hat sich dieser Tage gezeigt, welche Bedrohung ein einziger Infizierter auslösen kann. Immer weniger Menschen fürchten die zweite Welle. Dabei reicht ein einziger Hotspot wie Ischgl vor einem halben Jahr aus, uns wieder in Quaratäne zu zwingen – und alles zunichte zu machen, was bis hierher erreicht worden ist. Dann ist Polen nämlich wirklich offen. Reiner Trabold
11. Juni 2020
Das Elend der SPD
Willy Brandt hatte mir wie vielen anderen als Kanzler einer sozialliberalen Koalition Anfang der siebziger Jahre imponiert, weil er der SPD das gab, was ich heute an ihr vermisse: eine Haltung. Unter Brandt erzielten die Sozialdemokraten Wahlerfolge, von denen Genossen heute nur träumen können. Sie haben sich in der Gunst der Wähler auf desaströse 15 Prozent heruntergewirtschaftet. Trotz miserabler Umfragewerte und Wahlergebnisse war und ist die SPD aber bis heute Treibriemen der politischen und sozialen Entwicklung geblieben. Und sie hat keineswegs ihre „historische Mission erfüllt, den Kapitalismus zu zähmen“, wie Ralf Dahrendorf schon 1987 in einem Essay im „Merkur“ unter dem Titel „Das Elend der Sozialdemokratie“ befand. Die Protagonisten dieser politischen Kraft sind keineswegs erschöpft, weil sie ihr Werk erledigt hätten und auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters keine Antworten mehr hätten. Nein, diese Partei muss sich auf ihre inneren Werte besinnen. In der Opposition wollte sie sich erneuern und inhaltlich neu definieren. Stattdessen hat sie sich – wider Willen – in eine weitere Koalition der politischen Mitte einbauen lassen, und es wiederholt sich, womit die SPD schon in den vorangegangenen Verbindungen mit der Union Federn gelassen hat. Die Liste derer, die bei den Wadenbeißereien der vergangenen 15 Jahre an der Parteispitze auf der Strecke geblieben sind, ist lang. Einer davon, Peer Steinbrück, hat sich in „Anmerkungen eines Genossen“ zur Not seiner Partei geäußert und kommt zu dem Schluss: „Keine andere Partei als meine bringt aus der Geschichte bessere Voraussetzungen mit, auch im 21. Jahrhundert eine treibende Kraft der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu sein. Sie muss dies wieder zur Geltung bringen.“ Genau daran aber scheitert sie. Immer wieder. Und wenig deutet darauf hin, dass die SPD unter dem neuen Führungsduo aus ihrem Elend herauskommt. Reiner Trabold
Kick per Click
Was uns Corona alles beschert. Das Büro ohne Staus gemütlich daheim, Schule am geliebten Smartphone immer zur Hand. Kreditkarte statt Bares. Geradezu genial aber ist: Fußball ohne Zuschauer im Stadion. Alles auf dem Schirm. Ohne Choreo der Ultras, ohne Nerv tötende Fan-Gesänge und Bengalos, ohne Schlange stehen beim Bierholen, keine ausverkauften Ränge. Dafür Begleitgeräusche, schreiende Trainer, Offiziellen oder Ersatzspieler im Bezahl-TV. Total hautnah und doch auf Distanz. Wiederholung, Zeitlupe, Rückwärtsfunktion, mehrere Spiele gleichzeitig auf dem Schirm. Jubel- Kommentator nach Wahl. Alles live im Fernsehen. Grölen, tanzen, umarmen, la ola auf der Couch, Torjubel eingeblendet. Einzig die Rostbratwurst fehlt beim Kick per Klick. Ich vermisse das kollektive Erlebnis. Der Rückenwind fürs eigene Team bläst nicht. Wo bleibt, bitteschön, der sogenannte Vorteil für die Heimmannschaft? Da schafft es zum Beispiel die noch viertklassige FC Saarbrücken (seit Wochen ohne Training im Corona-Modus) dank Fan-Unterstützung bis ins Halbfinale des DFB-Pokals - um gegen die erstklassige Bayer-Elf aus Leverkusen unter die Räder zu geraten. Verstehen wir das unter Fair-Play? Was uns Corona alles beschert. Reiner Trabold
8. Juni 2020
Rotes Dilemma
Die SPD (mal wieder) im Dilemma. Sie allein soll es gewesen sein, die sich gegen eine Abwrackprämie für Benziner und Dieselautos ausgesprochen und sie in den Koalitionsverhandlungen um das Konjunkturpaket auch durchgesetzt hat. Der Entscheidung gehorcht konsequent der richtigen Zielsetzung, den Verkauf klimaneutraler Fahrzeuge zu fördern. Es kann nämlich nicht Aufgabe des Steuerzahlers sein, der Automobilbranche den Abverkauf ihrer bereits auf Halde stehenden Benzinerflotte zu bezuschussen. Die Branche hat zudem den Einstieg in die Wende der Automobilindustrie verschlafen und ist dadurch auch gegenüber ausländischen Herstellern ins Hintertreffen geraten. Hieraus wird nun vor allem durch die Arbeitnehmervertretungen ein Konflikt um Glaubwürdigkeit und Verantwortung der Sozialdemokraten konstruiert. Der Arbeiterpartei wird sozusagen Verrat an der eigenen Klientel vorgeworfen. Die SPD, die das Richtige fordert, steht am Pranger. Das passt ins Bild: Das Koalitionspapier trägt ebenso wie das Konjunkturpaket nicht nur unzweifelhaft eine rote Handschrift. Eine ganze Menge der Vereinbarungen wurde auch umgesetzt. Doch wie von Zauberhand trägt der Erfolg (wieder mal) die Signatur der Kanzlerin. Vor allem das erklärt, weshalb nicht die SPD, sondern die Union in der Gunst der Wähler (wieder mal) den Rahm abschöpft. Reiner Trabold
1. Juni 2020
Tief gespalten
„America what the fuck is wrong with you?” Diese Frage, geschrien von schwarzen Amerikanern im Konflikt mit der Staatsmacht in Minneapolis, ist bezeichnend für die Situation des ganzen Landes. Der Tod des Afroamerikaners George Floyd hat schwere Unruhen in den ganzen USA ausgelöst, ist zu einem Flächenbrand geworden. Jetzt kommt sie raus, die Wut über den Rassismus der Polizei aber auch der ganze Frust über eine wirtschaftliche Situation, ausgelöst oder verstärkt von der Coronakrise, die Millionen Amerikaner arbeitslos gemacht hat. Dass in den Staaten Bürgerkrieg zu herrschen scheint, hat auch mit dem miserablen Management der Regierung und ihres großmäuligen Chefs zu tun. Floyds Tod war nur die Lunte, die längst gelegt war. Jetzt kommt zum Ausbruch, dass sich ein großer Teil der Gesellschaft diskriminiert und ausgegrenzt fühlt. Wer das im ganzen Land ausgebrochene Feuer schürt, ob es linke oder rechte Gruppierungen sind, ist aus der Entfernung schwer zu sagen. Für Präsident Trump aber ist klar: Die linksradikale Antifa steckt hinter den Unruhen. Er droht den Demonstranten und versucht es erst gar nicht mit Deeskalation. Wie kein Präsident vor ihm setzt er weiter auf Spaltung. Angriff ist Teil seiner Strategie. Ob sie aufgeht, wird sich bei der Wahl im November zeigen. Im Moment gleichen die USA mit Eruptionen der Gewalt in New York, Los Angeles oder Atlanta, Dallas oder Louisville einem brodelnden Vulkan. Mit Nationalgardisten wird der Konflikt nicht zu lösen sein, wenn immer mehr Öl ins Feuer gegossen wird. Es reicht eben nicht, gebetsmühlenartig Größe und "America first" zu proklamieren, sich dabei von einem Großteil der Bevölkerung, ja der ganzen Welt abzuwenden. Amerika ist tief gespalten. Das hat Trump erreicht, und das ist es, „what the fuck is wrong“. Reiner Trabold