21. November 2019
Von wegen „geholt“
In der von mir sehr geschätzten „ZEIT“ lese ich in dem von Marc Probst verfassten Kommentar „Läuft nicht“, Kanzlerin Angela Merkel habe „eine Million Menschen in ein Land geholt, in dem alles bereits auf Kante genäht war“. Das hätten viele nicht mehr verstanden. Das stimmt so nicht. Merkel hat keinen ins Land „geholt“. Die Flüchtlinge, mitnichten alles Asylsuchende, kamen aus einem von kriegerischen Auseinandersetzungen unbewohnbar gewordenen Nahen und Mittleren Osten die meisten übers Meer nach Griechenland, den Balkan nach Ungarn, wurden von Österreich weitergeschoben nach Deutschland. Genauer: Nach Bayern. Von „holen“ kann keine Rede sein. Wir haben die Menschen in Not aufgenommen, haben die Tür geöffnet, sie zu uns gelassen. Keiner in Europa wollte sie. Es war sicherlich ein Fehler, glaubhaft machen zu wollen, dieser Akt der Nächstenliebe sei („Wir schaffen das“) einfach mal so machbar. Ich stimme Probst zu, dass sich der Staat in diesem Land immer weiter zurückgezogen hat, wobei sich zeigt, dass Privatisierungen wie die der Bahn und der Telekommunikation ihre Lücken und Löcher vor allem in der Fläche hinterlässt und sie der Steuerzahler stopft. So notwendig sein mag, die Staatsverschuldung mit einer „schwarzen Null“ zu deckeln, die Infrastruktur (z.B. Bahn und Mobilfunk) ist vielerorts nicht up to date, und es fehlen wegen mangelnder Investitionen Lehrer, Sozialarbeiter, Erzieher, Polizisten, Pfleger und auch Richter, die das Asylrecht schneller umsetzen. Denn Gerichte entscheiden, wer Asyl erhält und wer nicht. Reiner Trabold
Anreize
Die Windkraft ist ins Stocken geraten. Schade. Knapp 30000 Anlagen stehen auf deutschem Boden. Es müssten deutlich mehr werden, wenn der Wind im Energiemix der regenerativen Phase die zugedachte Rolle spielen soll. Aber inzwischen laufen Land auf Land ab Bürgerinitiativen Sturm gegen die kostengünstigste und effektivste erneuerbare Energiequelle. Menschen wie die im Odenwald und auch an der Bergstraße stellen ihre Eigeninteressen über die der Allgemeinheit. Und mit der vom Wirtschaftsministerium in Berlin beschlossenen neuen Abstandsregelung von 1000 Meter zur nächsten Wohnbebauung kommen jetzt noch mehr Windkraftanlagen nicht mehr in Frage. Der Gedanke, die Front der Windkraftgegner mit lukrativen Anreizen wie Bürgerbeteiligungen oder Rabatte auf Strom aufzuweichen könnte ein Weg aus dem Dilemma sein. Dann frage ich mich allerdings, ob diese Rabatte gerechterweise nicht auch denen längste hätten zustehen müssten, die in unmittelbarer von Atom- oder Kohlekraftwerken und den Stromleitungen leben, die die Gesellschaft mit Energie versorgen. Reiner Trabold
3. November 2019
5:1
Der FC Bayern gedemütigt. „Bayern verliert 1:5 gegen Eintracht“, lese ich auf der Titelseite meiner Sonntagszeitung vom glorreichen Sieg der SGE. Auf Seite 39 finde ich den Spielbericht im Buch „Geld & mehr“, wo die Bundesliga bestens aufgehoben ist. Und da steht wieder „1:5“, nicht 5:1 für Frankfurt. Klar, so gibt’s nach der Niederlage noch eine verbale Blutgrätsche der Redaktion hintendrauf. Damit’s den Bayern-Bossen Rumenigge und Hoeneß so richtig weh tut. Zehn Münchner sind am Main nach der Notbremse von Boateng in der zehnten Minute untergegangen, wurden von einer famos kämpfenden und spielenden Eintracht weggeputzt. Und jetzt? Am Donnerstag (7.11.) im Europapokal in Lüttich und am Sonntag schon in Freiburg. Zwei dicke Brocken. Ich halte die Daumen, dass der Eintracht die Kraft nicht schwindet. von Reiner Trabold
2. November 2019
Vom Niedergang der Volksparteien
„Wir haben verstanden“, hieß es bei den sogenannten „Volks“-Parteien nach der letzten Bundestagswahl uni sono. Ich habe das noch im Ohr, aber mir schon damals gesagt, dass sie vielleicht verstanden haben, es aber nicht verstehen, etwas zu ändern. Ist auch nicht so einfach. Verändert haben sich nicht die Parteien, sondern die Gesellschaft. Seitdem das Internet Meinung bildet, haben sich die Gewichte verschoben. Es ist ein Irrtum zu glauben, es zahle sich aus, den Bürger „mitzunehmen“ zur Basisdemokratie. Schon die Einführung von „Volksbegehren“ und „Bürgerentscheiden“ zur Korrektur von Entscheidungen gewählter Gremien, war ein Eingriff in Kompetenz der repräsentativen Demokratie: das Volk gibt seine Stimme ab und wählt Vertreter. Spätestens mit den „sozialen Medien“ meinen all jene, die nie auf die Idee gekommen wären mitzureden, sie seien das Volk und wüssten besser Bescheid als die Gewählten oder gar die „Lügen“ verbreitende Presse. Es finden Menschen Gehör, die einfache Antworten auf komplizierte Fragen und Sachverhalte geben. Dabei geht es um Emotionen und nicht um nüchterne Entscheidungen. So erklärt sich die Ablehnung des Establishments. Die gewählten Parteien müssen im politischen Austausch Konsens herstellen und sich mühevoll auf Kompromisse einlassen. Das dauert denen viel zu lange, die sich für das Volk halten. Daraus erklärt sich der Niedergang sogenannter Volksparteien wohl zuerst. Nirgends ist das besser zu beobachten als in den USA, wo ein twitternder Präsident sein Volk mit seinen verkürzten Nachrichten Un- oder Halbwahrheiten unterjubelt - aber auf seiner Seite weiß. Hierzulande wird das Finden von Lösungen immer mühsamer, weil in gewählten Parlamenten nicht zwei Parteien streiten (wie in den USA), sondern die Zahl der Fraktionen wächst. Vielfalt im Parteienspektrum ist eigentlich kein Fehler für das demokratische System, aber es wird immer schwieriger, sich zu einigen. Und das Diktat aus dem Netz macht die Sache noch viel komplizierter. Ist das verstanden? von Reiner Trabold
1. November 2019
Warten auf die Umgehung
„Das erleben wir wohl nicht mehr“, habe ich im Mai 2008 einen Echo-Beitrag zur Ortsumgehung Groß-Bieberau überschrieben. Das Zitat stammte von einer Bürgerin bei einer Versammlung, bei der Planungsingenieur Bernd Hoffmann den Bieberauern für den baldigen Bau der Trasse wenig Hoffnung machte. Damals wurden die Varianten vorgestellt, und Bürgermeister Werner Seubert musste sogar einräumen, dass für verkehrsberuhigende Maßnahmen wie Tempo 30 auf der B 38 innerorts nicht möglich sei, ungezählte Gespräche mit Behörden ergebnislos geblieben seien. Und Markus Schmitt, damals Sprecher des Amts für Straßen- und Verkehrswesens (ASV), heute Hessen Mobil, meinte, die Umgehung sei „frühestens in zehn Jahren“ zu schaffen. Es könnten aber auch 20 werden, „wenn die Europäische Union noch Felsbrocken in den Weg rollt“. Voraussetzung für eine „zügige Umsetzung“ sei, dass es im nächsten Jahr gelinge, das Projekt in den „vordringlichen Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans zu bekommen. Nun, von Europa und auch nicht von Berlin ist die Sache aufgehalten worden. Beim Bund sind die Mittel für das rund 2,5 Kilometer lange Straßenstück schon längst abzurufen – wenn denn der grüne hessische Verkehrsminister Al-Wasir den vordringlichen Bedarf ähnlich einschätzte wie die Bundesregierung. Die aber vertröstet die Stadt, weil derzeit vor allem Sanierungsarbeiten an den Fernstraßen des Bundes abzuarbeiten sind und bei Hessen Mobil keine Planungskapazitäten vorhanden seien. Außerdem liegt der Trasse noch ein Stück Schiene im Weg, von der keiner so recht weiß, ob es jemals noch einmal befahren wird (der Fahrgastverband Pro Bahn freilich glaubt an eine Reaktivierung des Odenwälder Lieschens). Solange bei dieser Hängepartie keine Klarheit herrscht, geht gar nichts weiter. Das ist angesichts des Verkehrsstroms, der nicht enden wollend durch Groß-Bieberau rauscht wie die Gersprenz, mehr als unbefriedigend. Der Bürger ist ja bei solchen Großprojekten geduldig, weiß, dass gut Ding Weile braucht. Aber irgendwann reißt der Geduldsfaden, muss die Frage erlaubt sein, wann denn endlich gehandelt wird – zumal das Geld vorhanden ist. Und warum, wenn Hessen Mobil nicht in die Puschen kommt, nicht ein privates Planungsbüro die Trasse endlich in den baureifen Status bringt, die Bagger in absehbarer Zeit rollen? Auch dieser Weg scheint eine Sackgasse, weil sich Hessen Mobil personell außer Stande sieht, diese Planung zu prüfen. Weder Planungsingenieur Hoffmann vom privaten Planungsbüro Dorn noch ASV-Sprecher Schmitt konnten 2008 voraussehen, dass mal ein Grüner Flughafenausbauer als Verhinderer in Wiesbaden eine Schlüsselstellung einnehmen würde. Es ist an der Zeit, dass sich in Groß-Bieberau Widerstand rührt und laut wird gegen diese Art der Missachtung von Notwendigkeit. Reiner Trabold