30. Juni 2019
Brüder zur Sonne zum Lichte?
Ratlosigkeit steht den Genossen derzeit ins Gesicht geschrieben. Die SPD sucht nach sich selbst. Und findet nicht zur neuen Sozialdemokratie passende Inhalte, sondern bringt Namen ins Gespräch, sucht einen, womöglich auch doppelten Kopf für das Amt, das nach dem Rückzieher von Andrea Nahles ein Trio der Aufrechten einnimmt. Drei Gesichter eines Teams ohne größere Blessuren; der in Hessen ewig unterlegene und deshalb sympathische TSG, die beiden glorreichen Landesmütter Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) und Manu Schlesig (Meck-Pom) sind kommissarisch an die Spitze gesprungen, weil sie Vorsitz können, aber für die ganz große Nummer abgewunken haben. Und welche Namen fallen für den Chefsessel? Ziemlich oft ist von Franziska Giffey die Rede, weil die Ministerin einen guten Job macht. Giffey hat freilich was, das sie aber verlieren könnte, wenn ihre Dissertation der Prüfung nicht standhält. Auch General Lars Klingbeil wird gehandelt. In den Raum gestellt sind zudem die altvordere Galionsfigur Gesine Schwan in mutiger Kombi mit dem jungsozialistischen Kevin Kühnert. Der Juso-Chef ist fraglos ein Talent und Hoffnungsträger der einstigen Volkspartei. Aber ist er alt genug, um schon verschlissen zu werden? Die SPD trägt die Solidarität zwar vor sich her wie eine Monstranz, lebt aber gnadenlos unsolidarisch, wenn es ums Abmeiern in Ungnade gefallener Spitzenpolitiker geht. Die erfahrene intellektuelle Schwan, der rhetorisch geschliffene Kühnert, ob sich die zwei so gut verstehen, die Brüder endlich wieder zur Sonne zum Lichte empor zu führen? Zwei Gesichter, die der SPD freilich noch längst kein wegweisendes Profil geben.
27. Juni 2019
Zum Donnerstag der Demokratie
Hätte ich vor ein paar Jahren für möglich gehalten, dass es einen solchen Tag einmal notwendig braucht? Gibt es denn ernsthaft Zweifel an dieser freiheitlich verfassten Art der solidarischen Gemeinschaft, dieser Demokratie? Ganz offensichtlich. Die Deutschen haben die Chance nach den Erfahrungen des 1. Weltkrieges vergeigt. Die Weimarer Republik endete im braunen Sumpf. Nach dem Zweiten Weltkrieg noch ein Anlauf. Ich hielt das System für stabil. Doch schon die Pegida-Bewegungen machten mich nachdenklich. „Wir sind das Volk“, ein Signal zum friedlichen Sturz der DDR-Diktatur, wurde vor allem im Osten wieder ausgegraben, missbraucht, geschändet, um politische Unzufriedenheit zu herauszuschreien. Dass vor allem in den sogenannten „neuen Bundesländern“ die Stimmung nach rechts tendiert, die angebliche „Alternative für Deutschland“ zum Sammelbecken der Frustrierten wird, dokumentiert zum einen Defizite im Umgang mit den „Abgehängten“. Zum andern aber leider auch, wie schnell sich in dieser Demokratie braun-müffelnde Deutschtümelei ausbreitet, genährt von Fremdenhass im Netz und gezielten Provokationen des rechten Lagers. Der Mord am Kasseler RP Walter Lübcke hat auf erschütternde Weise gezeigt, wohin dies führen kann. Hätte Bundeskanzlerin Merkel 2015 nicht unkontrolliert Hunderttausende Flüchtlinge ins Land gelassen, würde der offenbar von einem Rechtsextremen Ermordete noch leben, erdreistete sich ein Hasskommentator im Netz. Lübcke hatte sich 2015 zur Entscheidung der Kanzlerin,die Asylsuchenden aufzunehmen, als Akt der Menschlichkeit bekannt, und einen Sturm der Entrüstung geerntet. Sie gärte solange, bis sie sich entlud. Wie Bundestagspräsident Schäuble richtig feststellt, machen sich die mitschuldig, die den „Nährboden der Gewalt düngen“. Während ein Teil der AfD-Fraktion applaudierte, klatschte die Fraktionsvorsitzende Weidel demonstrativ nicht. Entlarvend. Bedeutet mir aber, dass auch nach 70 Jahren Grundgesetz nationalistisch verblendete Idioten auf dem Vormarsch sind. Ich warne davor, diese Bewegung nicht ernst zu nehmen. Es darf nicht nur dieser Donnerstag sein, an dem sich die Demokraten gegen die vereinen, die von rechts attackieren. von reiner trabold
24. Juni 2019
Der Laie wundert sich
Heute früh im ARD-Moma. Thema Brennstoffzelle. Ein ziemlich einfaches Gerät, das die Elektrolyse umkehrt, bei der Wasser mithilfe von Elektrizität in seine atomaren Einzelteile Sauer- und Wasserstoff zerlegt wird: die Brennstoffzelle. Schon mehr als 150 Jahre alt und als Lieferant von sauberem Strom bekannt. Konnte sich aber nie am Markt durchsetzen, denn der wollte Benzin und Diesel als Treibstoff. Schier uneingeschränkt vorhandenes fossiles Erdöl, auch Erdgas, wurden favorisiert. Wasserstoffautos rangieren auf dem Abstellgleis. Weil die Automobilindustrie künftig auf den Elektromotor setzt, der von zentnerschweren Batterien angetrieben wird. Während der Wasserstofftank für eine Brennstoffzelle in eine größere Handtasche passt. Nun könnte man doch den Strom der Windparks in Nord- und Ostsee per Elektrolyse in Sauer- und Wasserstoff verwandeln, den Wasserstoff lagern und ins Land verteilen. Wie Benzin. Gigantische Akkumulatoren, die Strom bunkern, könnte man sich sparen. Und das Tankstellennetz stünde umgerüstet zur Verfügung. Autos könnten an Zapfstellen in kürzester Zeit statt an Steckdosen betankt werden. Ja, es könnte so einfach sein. Wäre da nicht die eher mentale Einschränkung, die bei Wasserstoff jeder im Kopf hat, der im Chemieunterricht mal Zeuge einer Knallgasreaktion wurde. Wem das als Einwand nicht reicht: War nicht der Zeppelin Hindenburg mit Wasserstoff gefüllt, als er 1937 in Flammen aufging? Berechtigt ist der Einwand, Wasserstoffatome seien so klein, dass sie in keinem Tank so zu speichern sind, ohne dass sie - wenn auch in geringen Mengen - durch dessen Wände diffundierten. Wir stellen uns eine Tiefgarage mit Wasserstoffautos vor. Bumm. Die Technologie sei beherrschbar, versichern seriöse Wissenschaftler. Doch eine Lobby haben sie noch nicht. Denn anders ist nicht zu erklären, dass eine so simple und saubere Technologie nicht Fahrt aufnimmt. Der Laie wundert sich. Reiner Trabold
19. Juni 2019
Gute Nacht
Es sei nur noch eine Frage der Zeit, wann die USA den Mullahs in Iran militärisch einen Denkzettel verpassten, orakelt der Nahostexperte Michael Lüders jüngst im Talk mit Markus Lanz auf Werbetour für sein neuestes Buch über das „Armageddon im Orient“. Lüders wird dabei nicht müde, die Verstrickung der USA in eben dieses drohende Armageddon (dem jüngsten Gericht) zu beschwören. Der Orient oder Nahe Osten ist schon seit Jahrzehnten Spielball der Weltmächte, und es geht dabei vor allem ums Öl. Unvergessen ist, wie die USA - angeblich in Besitz von Beweisen, Irak besitze Massenvernichtungswaffen - die Jagd auf Diktator Saddam eröffneten. Dass die für Hussein tödlich endete, ist nicht so tragisch wie die Tatsache, dass die Amerikaner dreist die Welt täuschten. Deutschland verweigerte dem damaligen Präsidenten Bush genauso die Gefolgschaft wie es sich heute hoffentlich einer kriegerischen Aktion gegen Iran versagen würde. Wieder spielen die Cowboys im Weißen Haus mit dem Feuer. Die Europäer schauen mit offenem Mund zu, nachdem Lügenbaron Trump das mühsam erkämpfte Atomabkommen der Weltmächte (JCPOA) mit dem Iran aufkündigte und einseitig Sanktionen gegen Teheran verhängte. Er geht noch weiter: Er droht allen, die mit Iran weiterhin Handel betreiben, vom Ausschluss vom amerikanischen Markt. Die Strategie scheint klar. Das Land bastelt jetzt weiter an der Bombe und spielt damit, dass sich Europa gegen Amerika stellt. Das stellt die Allianz auf eine harte Probe. Schlägt Trump zu, würde der Ölpreis explodieren, die Wirtschaft weltweit kollabieren. Ein solches Schreckensbild mutet uns der gute Lüders auf die Nacht in seiner zehnminütigen, atemlosen Rundum-Analyse der verheerenden Lage rund um den Persischen Golf zu. Wer soll da noch ruhig schlafen können? Reiner Trabold
Erfrischend anders
Dass der 17. Juni vor der Wiedervereinigung vor 30 Jahren ein wichtiger deutscher Gedenktag war, scheint den meisten schon aus dem Gedächtnis. Viele haben verdrängt, dass das Datum auch den Niedergang der deutschen Kicker bei der Weltmeisterschaft in Russland markiert. Vor Jahresfrist unterlag Jogis pomadig langsame Elf nämlich Mexiko 0:1. Genau 365 Tage später putzen die deutschen Damen in Montpellier die WM-Neulinge aus Südafrika mit 4:0 vom Platz. Zu sehen zur Primetime im Ersten. Schaffen die Frauen das, was die Männer versaubeutelt haben? Eine Frage, die sich stellt. Den Unterschied der Geschlechter wurde an diesem 17. Juni im Auftaktspiel der deutschen U21 (unter 21 heißt, die Spieler waren bei der Qualifikation zur WM unter 21 Jahre alt, sind aber inzwischen schon bis zu zwei Jahre älter) gegen Dänemark (3:1) deutlich. Es ist kein Mosern der „sonst mit dem Herrenfußball befassten Kollegen“, „Frauenspiele seien eklatant langsamer und anspruchsloser als die Kickerei der Männer“, wie ich in der „ZEIT“ lese. Das ist kein Mosern, sondern Tatsache. In ihrem Beitrag „Frauen sind anders“ plädieren Cathrin Gilbert (Sportredaktion der Zeit) und Philipp Köster (Chef des Fußballmagazins „11 Freunde“) für radikale Schritte, um den Frauenfußball populärer zu machen und vermutet wohl zurecht, die WM-Spiele in Frankreich würden überwiegend von Männern über 65 verfolgt. Die jüngeren Zuschauer wären von der Performance der Ladies eher zu begeistern, wenn das Spielfeld kleiner, die Spieldauer kürzer wäre. Frauen seien ja nicht weniger wert, weil die kleinere Schuhe tragen und weniger Muskeln haben, schreiben die beiden. Ist Sport erst dann attraktiv genug, wenn er die „für jede Vermarktung wichtige Zielgruppe der Fernsehzuschauer“ (14 bis 49 Jahre) erreicht? Ich widerspreche energisch – wahrscheinlich, weil ich als Leser der ZEIT über 65 bin. Frauenfußball ist deshalb so faszinierend, weil er anders ist. Erfrischend anders. Und auch noch erfolgreich. von Reiner Trabold
7. Juni 2019
Ohne uns
„Find your Britain great“ oder „Find Your Great Britain“ wirbt die Insel in einem Heft, das ich heute früh in meiner Zeitung gefunden habe. „Ziel meiner Reise ist England“ steht da. Groß-Britannien, das Schottland, Wales, Nordirland ausblendet, ja mehr noch: An die Stellen der Inselteile sind Wellenlinien zeichnet, als gäbe es sie nicht. Nein, ihr lieben Engländer, das finde ich gar nicht great. Auf dem Titelblatt schaut eine junge Frau im gestreiften Rock auf einem Felsen stehend hinaus aufs Meer, dorthin, wo wir Wales, Schottland, Irland oder den Kontinent vermuten können, von dem sich „good old England“ unbedingt losmachen will. In Wahrheit ist es also gar kein Br(itannien)exit, sondern ein E(ngland)xit. Traumhaft schön dieses Land, fürwahr, but it’s time to say good bye. Leinen los und hinaus mit Euch auf den weiten Atlantik in Richtung Amiland, weg von dem Kontinent, von dem Ihr Euch nur die besten Trainer, Fußballer, Waren (goods) einkauft – und dessen Festlandbewohner allenfalls als Touristen „very welcome“ geheißen werden. Ich rufe Euch zu: Macht’s gut, aber ohne uns. von Reiner Trabold
2. Juni 2019
Ätschi-Bätschi
Dass es so schnell gehen würde, hatten wohl selbst ihre schärfsten Widersacher nicht erwartet. Andrea Nahles zieht Konsequenzen aus einer Reihe von Missgriffen. Sie sehe keinen Rückhalt mehr. Nun der war ja von Anfang an eher mäßig. Ich erinnere mich an ihr sauschlechtes Wahlergebnis zur Vorsitzenden, das scheinbar an ihr abperlte. Aber die Haut war offenbar dünner als gedacht. An der Erneuerung der Partei zerbrochen, der Absturz bei der Europawahl, Sticheleien der Basis, die GroKo gegen alle berechtigten Bedenken an der Basis durchgeboxt, ja herbeigeschrien. Jetzt ihr ungeschickter Schachzug gegen Kritiker aus den eigenen Reihen. Matt. Als „Intrigenstadl“ hat die FAZ in ihrer Sonntagszeitung die SPD bezeichnet. Das trifft es ziemlich genau. Diese Partei versteht es, sich selbst am Boden liegend noch fertig zu machen. Auch ganz unten treten sich die Genossen genüsslich gegenseitig und fallen sich in den Rücken. Was glaubt die einst so stolze Partei mit ihren hehren Zielen und Versprechungen sich eigentlich noch alles leisten zu dürfen? Wahrscheinlich kommt jetzt Mr. Valium, die Geheimwaffe aus HH, um die Sozialdemokratie gänzlich zu Grabe zu tragen? Da kann man nun gegen Nahles sagen, was man will, aber welche personellen Alternativen bleiben den Sozen, die ihr Führungspersonal wechseln wie andere die Unterwäsche? Schwer vorstellbar, dass sich Power-Nahles beleidigt mit einem letzten „Ätschi-Bätschi“ aus der Politik zurückzieht. Keine Fake-News. Was nun SPD? Reiner Trabold