„42 Jahre Wein, das reicht“

10. Dezember 2020

 

 

Für Axel Seiberth endet zum Jahreswechsel die Zeit als Weinmacher ohne Wehmut

 

3,3 Millionen abgefüllte Flaschen Bergsträßer Wein, rund 350 Goldmedaillen eingeheimst. Axel Seiberth zieht als scheidender Chef des Weinguts der Stadt Bensheim nach 33 Jahren zufrieden Bilanz. Silber bei der Landesweinprämierung zählt er nicht mit. Von Bronze will er nicht reden. Niederlagen klebe sich keiner auf die Flasche, sagt er. Der einstige Kellermeister des Staatsweinguts Bergstraße legt die Latte hoch. Er ist ein kritischer, durchaus auch selbstkritischer Zeitgenosse, der konstruktives Nichtstun („meine Lieblingsbeschäftigung“) als die „oft beste Entscheidung für den Wein“ bezeichnet.

 

Axel Seiberth ist 65 und geht in Rente. Unser Wein-Gespräch zum Ausklang seiner Zeit im städtischen Weinguts beginnt mit dem „Vorspiel“. Mit dem Wortspiel auf dem Etikett des Ersten des neuen Jahrgangs könnten viele offenbar wenig anfangen. „Sie verstehen wohl auch nicht, warum eine Geigerin darauf abgebildet ist“, rätselt er über den verheißungsvollen Titel. Dornfelder prägt die Rotwein-Cuvée im Glas. Sie für ihr Baby-Alter schon gut entwickelt, aber recht harmonisch und süffig.

 

Mit dem Vorspiel halten wir uns nicht lange auf und kommen zum Riesling, Seiberths und meine Lieblingsrebe.  Der Bensheimer Kirchberg Riesling in der Literflasche ist 1a, der Renner im Sortiment und mein privater Favorit - wenngleich ich mit  zunehmendem Alter feststelle, dass selbst in  Liter- oder Magnumflaschen immer weniger drin zu sein scheint.

 

Rund ein Zehntel der Hausmarke des städtischen Weinguts wird keine 500 Meter Luftlinie vom Weingut entfernt im 220 Meter hoch gelegenen Kirchberghäuschen ausgeschenkt. In den Lagen Kirchberg, Kalkgasse,  Streichling oder Wolfsmagen gewachsen sind die Trauben der rund 20 Weine, die im Keller der Stadt zu Wein werden, wobei Spätburgunder, Dornfelder und die seltene Sorte Rotberger nur eine kleine Fläche beanspruchen. Die meisten Rieslinge sind trocken und säurereduziert ausgebaut. „Wenn ich etwas hasse, dann diese aggressive Feuersäure, die Sodbrennen verursacht“, begründet Seiberth seine Einstellung und verzieht das Gesicht. Sein Favorit: Die Spätlese vom Kirchberg. Viel Frucht (Extrakt) und tolles Aroma.

 

Der 20er, ein exzellenter Jahrgang, liege im Keller, werde jetzt abgefüllt, bestätigt der Winzer. Das Weingut läuft nahtlos weiter. Ohne ihn. Das Team um Kellermeister Volker Dingeldey und Andrea Klein im Verkauf bleibe an Bord, wenn er das Weingut zum Jahreswechsel „nahtlos“ an seinen  Nachfolger Michael Jäger übergibt, der ebenfalls aus der Talentschmiede des früheren Staatsweinguts Bergstraße kommt. Dass Corona seinen Plan von einem Umtrunk im Freundeskreis an Silvester durchkreuzt hat, bedauert der Weinmacher, der seine Wurzeln in der Pfalz hat. Corona gehe vorüber, der Wein habe Bestand.

 

„42 Jahre Wein, das reicht“, setzt Axel Seiberth rhetorisch einen Schlusspunkt ans Ende seiner Zeit als „dienstältester Winzer an der Bergstraße“.  „Es waren natürlich nicht nur sonnige Tage, aber der Winzer freut sich bekanntlich auch über Regen“, sinniert der Winzer in einem Abschiedsbrief an Kunden und Weinfreunde. Es gab gerade in den vergangenen Jahren Sommer, in denen extreme Trockenheit dem Wein besonderen Stress aussetzte, erinnert er daran, dass Regen allzu oft ein Segen für Landwirte ist.

 

Tiefgründigere Böden und eine deutlich bessere Wasserhaltung attestiert Seiberth den Heppenheimer Weinlagen. Er spricht von einem Witterungsbonus von bis zu zehn Grad Oechsle. Aber das ist wohl weniger der Grund dafür, dass er dem Heppenheimer Weingut Amthor besonders zugetan ist. Die guten Beziehungen zum jungen, aufstrebenden Weingut ergaben sich vor allem daraus, dass Nachwuchswinzerin Babsi Amthor bei ihm im Weingut lernte, ihm nach einer Hospitanz in Südtirol den Golfmuskateller ans Herz legte und er die Rebe am Kirchberg aufstockte. Gold für den aromatischen Tropfen bei der Landesweinprämierung, versteht sich. Dass er bei Amthors und anderen Kollegen seine Erfahrung einfließen lasse, sieht er als Beleg, dass es im Ruhestand nicht langweilig werde.

 

Es gibt aber nicht nur Wein im Leben des Axel Seiberth. „Burkan“ heißt der zwei Jahre alte Wallach, den er sich bei einer Auktion in Baden-Baden zugelegt hat. „Ein Schnäppchen“, ist er sich sicher, aufs richtige Pferd gesetzt zu haben. Der Galopper steht in einem Stall in Mannheim, wird auch von ihm trainiert. Seiberth, auf einem Bauernhof bei Hassloch groß geworden, saß schon als Elfjähriger im Sattel, ritt Rennen – bis er als Jockey zu schwer wurde. Heute hat die Tochter einen Reitstall in Schwanheim, und die Enkelin sei begnadete Reiterin. Der Sohn, auch das sei erwähnt, feierte Erfolge als Handballer.

 

Bleibt ein weiteres Hobby, mit dem sich Axel Seiberth die Zeit im Ruhestand vertreiben wird. Die Jagdtrophäen, mit denen im Weingut eine ganze Wand dekoriert ist, verraten den Jäger. Wohin mit Hirschgeweihen, Hörnern und messerscharfen Keilerwaffen, wenn er in der Darmstädter Straße 6 demnächst seine Sachen packt? Er träume von einer Gams in Österreich. Zwar habe sein Haus in Schwanheim eine große Diele, aber so groß nun auch wieder nicht. Und komme in den nächsten Jahren wohl noch einiges dazu.

 

Dass Axel Seiberths Nachfolger ein geborener Jäger ist, mag Zufall sein. Aber es passt. Wir sind inzwischen beim im Barriquefass gereiften Spätburgunders aus der Kalkgasse  angekommen.

 

von reiner trabold

 

fotos: copyright regina trabold